Bei einer Social-Media-Diskussion tauchte neulich die Frage auf: Wie viel Strom muss Deutschland zusätzlich generieren, wenn ALLE Autos mit Strom fahren?
Ziel
Ziel dieses Artikels ist, eine HAUSNUMMER zu ermitteln um es zum Beispiel mit der heutigen Gesamtstromproduktion in Deutschland zu vergleichen. Wenn das Ergebnis um einen Faktor zwei, drei, vier danebenliegt bin ich angesichts der wilden Annahmen sehr zufrieden.
Es geht nicht um eine realistische Projektion zu einem Zeitpunkt (zB „wie ist der Gesamtstromverbrauch im Jahr 2030“) sondern nur um eine Größenordnung: Was würde hier und jetzt passieren, wenn eine gute Fee mit dem Zauberstab alle Autos in Elektroautos verwandeln würde und, weil es eine besonders gute Fee ist, auch gleich die Ladeinfrastruktur dazu aus dem Boden zaubert…
Die Diskussion um die Deutungshoheit hat so weit an Kultur verloren, dass es Zeit wird mit einer „Bierdeckelrechnung“ die Plausibilität der Aussagen zu prüfen.
Annahmen
Zunächst ein paar Annahmen und Quellen dazu.
- Der Stromverbrauch pro 100km eines Elektro-Autos ist etwa 17,5 kWh pro 100 km 1
- Jedes Auto das heute auf Deutschlands Straßen fährt wird 1:1 durch ein Elektroauto ersetzt, auch das Fahrverhalten ändert sich nicht. Das macht die gute Fee für uns.
- PKW fahren in Deutschland insgesamt
630,5 Milliarden (km) 2 - Zum Vergleich: Die Jahres-Nettostromerzeugung der Bundesrepublik Deutschland betrug 2018: 544,21 TWh 3
Rechnung
Wer so weit dabei geblieben ist kommt sicher zum gleichen Ergebnis:
0,175 kWh/km x 630,5 Milliarden km = 110,3 Milliarden kWh (gerundet)
Das sind: 110,3 TWh (sprich: Tera-Wattstunden)
Wenn wir uns einen Fehler von 30% gönnen (d.h. gefahren werden zwischen 440 Mrd km und 820 Mrd km, und die Effizienz der E-Autos steigt um 30% auf 12 kWh/100km) kommen wir im günstigsten Fall auf ca. 50 TWh.
Vergleich und Kritik
Auf der einen Seite steht ein zusätzlicher Stromverbrauch von ca. 110 TWh, auf der anderen Seite eine Nettostromerzeugung von ca. 540 TWh. Um alles was wir heute fahren elektrisch fahren zu können, müssen wir unsere Stromproduktion um etwa 10% bis 20% ausweiten.
Auf dieser Ebene der Rechnung kann ich mir nicht vorstellen, dass es wesentlich besser wird.
Natürlich gibt es die an anderer Stelle betrachteten weiteren Effekt: Der Stromverbrauch von Erdölraffinerien geht zurück, auch die Brennstoff-Logistik wird überflüssig, und ein Verbrenner-Auto braucht auch noch weitere Betriebsmittel die ein E-Auto nicht braucht und so weiter.
Auf der anderen Seite verbrauchen E-Autos gigantische Energiemengen bei der Produktion der Batterien. Eine andere schöne Modellrechnung wäre der Gesamt-Energieverbrauch für Batterien und ihre Lebenserwartung im „gute-Fee-Fall“.
Der Artikel [1] hat auch dezent gemogelt: Natürlich spielen Bremsscheiben / Bremsbeläge bei einem Verbrenner eine andere Rolle als in einem E-Auto, das meistens (!) beim Bremsen „nur“ Energierückgewinnung betreibt. Jeder E-Auto-Fahrer wird bei einer Vollbremsung dankbar sein, wenn er auch eine normale Bremse hat. Doch Effekte wie dieser halte ich bei der Ungenauigkeit der bisherigen Schätzung für Vernachlässigbar.
Die wichtigsten Fragen für diese Bilanz sind meiner Meinung nach:
- Wie entwickelt sich die Anforderung an Mobilität? – Schaffen wir es wirklich, den PKW für 30% der Strecken durch andere Verkehrsmittel zu ersetzen, oder läuft der langjährige Trend dass wir als Gesellschaft jedes Jahr etwas mehr Auto fahren als im Vorjahr weiter?
- Wie entwickelt sich die Energie-, CO2– und Umweltbilanz der Batterieerstellung?
… und dann gibt es natürlich auch die wirklich großen Fragen: Wie entwickelt sich der Energiemix der Bundesrepublik? Schaffen wir es, die Netzstabilität bei 10% bis 20% mehr Nachfrage auch unter realen Lastbedingungen aufrechtzuerhalten?
und so weiter. Doch das sind andere Fragen, die – vielleicht – ein andermal untersucht werden.
- „Auch Verbrenner fahren mit Strom“ – spannend, der Artikel beginnt genau diese Rechnung aufzuziehen, doch er führt sie nicht zuende. Stattdessen diskreditiert er die Herangehensweise. Das ist für uns hier interessant, weil wir die E-Autos nicht mit Verbrennern vergleichen, sondern mit der Fähigkeit zur Stromerzeugung… ↵
- „Verkehr in Kilometern der deutschen Kraftfahrzeuge im Jahr 2017“ ↵
- „Nettostromerzeugung in Deutschland in 2018“ ↵